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2.Platz: Verpasst

Lina Marte

Ich laufe. Die kalte Luft schlägt mir ins Gesicht, dringt durch meine Haut und lässt mich schaudern. Gerado so schaffe ich es in den Bus. Fast hätte ich ihn verpasst. Wäre ich auch nur eine Minute später losgegangen hätte ich wohl den späteren nehmen müssen. Im kehr Schluss habe ich nun den späteren Bus „verpasst“. Wäre ich zwanzig Minuten früher außer Haus gegangen hätte ich den Bus in dem ich nun eingezwängt zwischen lauten Volksschülern und griesgrämigen Berufstätigen stehe verpasst. Wäre ich heute zu Hause geblieben, hätte ich natürlich alle Busse verpasst. So verpasse ich jedoch was zu Hause geschieht. Mit jedem Gedanken, den ich an dieses Geflecht an verpassten Bussen verschwende, verpasse ich vermutlich interessantere Gedanken. Doch in dem Moment, wo meine Gedanken sich auf etwas anderes konzentrieren, verpasse ich diesen Gedanken Strang. Die Tür öffnet sich ein sehr kleiner aber laut schimpfender Volksschüler rammt mir seinen Ellbogen in meine Seite. Hinter ihm folgen noch ein paar weitere. Die Türen schließen wieder. Mit jeder Minute, die ich in diesem Bus stehe, verpasse ich das Leben außerhalb. Hätte ich heute ausgeschlafen würde ich länger wach bleiben können und würde so mehr vom Abend mitbekommen, hätte dafür jedoch den Morgen verpasst. Verpasse ich nicht dadurch hier und nicht dort oder da zu sein, dort und da? Aber wäre ich dort würde ich wohl da und hier verpassen? Wo soll ich sein? Vermutlich verpasse ich die Geburt des nächsten großen Superstars oder Politikers. In diesem, exakt diesem Moment stirbt vermutlich irgendwo irgendwer, wo es vermutlich wichtiger wäre zu sein als in diesem scheiß Bus! Apropos sterben, verpasse ich nicht durch meine bloße Existenz den Himmel oder einfach nur das Verrotten meines Körpers? Jeder muss alles immer machen, abends fortgehen, morgens den Sonnenaufgang sehen und zu Mittag irgendwo essen gehen. Alle treffen und alle kennen, alle mögen und alle hassen, alles erlernen und nichts vergessen. Das Ziel nie aus den Augen verlieren, während das Leben unablässig mit Dreck nach dir wirft und du, du musst all den Dreck fangen, sonst könnten dir ja die wenigen Blumen entgehen die ab und zu dazwischengeraten. Nie stehen bleiben, einfach weiterlaufen, egal wo hin, bloß nicht stehen bleiben. Wer steht und stoppt um sich sieht und tief ein und ausatmet, verpasst. Die Welt dreht sich erbarmungslos weiter. Ich muss hier raus. Die Türen öffnen sich ich setze einen Fuß auf den Vereisten Gehsteig und rutsche weg. Egal. Wer auch immer es gesehen hat, hat wohl genug damit zu tun weg zu kommen als in dieser Eiseskälte stehenzubleiben, mit dem Finger auf mich zu deuten und mich auszulachen. Und wenn doch, Hut ab, dass du dir die Zeit nimmst.

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