Figuren
JAEL, Fleischermeisterstochter
SARA, Fleischermeistersfrau
MENCHEM, Fleischermeister
CHANA, Fleischermeisterstochter
MORDECHAI, Rabbiner
TZVI, Fleischer
SCHTETLRAND, WALD.
(JAEL und CHANA pflücken Beeren und legen diese in Körbe, die sie auf der Hüfte gestützt tragen.)
JAEL: Diese Arbeit kann ich nicht ausstehen. Mir tut der Rücken weh.
CHANA: Sei nicht so. Bedanke dich lieber dafür, dass wir überhaupt etwas zu essen haben. Wird ein bitterer Winter werden, heuer. Der Herr hat uns jetzt gesegnet. Wir sollten das ernten, was Er uns gegeben hat.
(JAEL schweigt.)
CHANA: Hast du dich wegen Tzvi entschieden?
(JAEL lächelt, gedankenverloren.)
JAEL: Ach, was. Er ist ein Angeber. Was soll ich da groß entscheiden?
(CHANA seufzt, wissend.)
CHANA: Aber er ist ein guter Mann. Mama und Papa haben ihn schließlich ausgesucht. Sie kennen dich ja.
(JAEL zu sich selbst, murmelnd.)
JAEL: Er ist gut. Ja, das stimmt.
(JAEL wischt ihre Hand an ihrem Rock ab.)
JAEL: Saftige Beeren dieses Jahr. Das ist gut.
CHANA: Nächstes Jahr ein warmer Sommer, dann. Eine Sommerhochzeit für dich. Schön, oder?
JAEL: Sommerhochzeit, Frühlingskinder. Ja, das wäre schön. Sie können dann hier im Feld spielen.
JESCHIWA, SCHTETLZENTRUM.
(MENACHEM und MORDECHAI über einen Tisch gebeugt.)
MENACHEM: Rebbe, ich sorge mich. Stimmt es, was man hört?
(MORDECHAI reibt seinen Bart.)
MORDECHAI: Wir sind als Volk schon immer verfolgt worden.
MENACHEM: Diesmal ist es anders. Tzvi hat für mich letztens eine Lieferung in der Stadt geholt. Was sie erzählt haben… unsere Menschen leiden, Rebbe. Unermessliches Leid. Und sie rücken weiter in den Osten.
MORDECHAI: Tzvi ist ein guter Mann für deine Tochter. Aber er redet mir etwas zu viel.
MENACHEM: Weich‘ nicht aus. (Pause.) Er redet viel, um tapfer zu wirken. Aber nicht so. Niemals so.
(MORDECHAI schweigt.)
MENACHEM: Ich will nicht da sein müssen, wenn sie uns erreichen.
(Betretene Stille. Hastige Schritte sind zu hören. MORDECHAI und MENACHEM schrecken auf, laufen zur Tür.)
MORDECHAI: Mein Junge, was ist geschehen?
(TZVI lehnt sich an einen Baum, übergibt sich lautstark. Er zittert am ganzen Körper.)
TZVI: Sie kommen. Ich habe sie gesehen, Gewehre in der Hand. Wir können- müssen- sollen-
(TZVI übergibt sich erneut, Schweißtropfen rinnen seinen fahlen Nacken entlang. Er wischt sich mit dem Handrücken den Mund ab, holt tief Luft.)
MORDECHAI: Wo sind sie?
TZVI: Sie wollen zuerst in den Westen. Sind mehr, die dort wohnen.
MENACHEM: Dann müssen wir weg.
MORDECHAI: Ja. Das müssen wir wohl.
(Die drei Männer schweigen, Bäume rascheln im Wind.)
HAUS DER FLEISCHERMEISTERSFAMILIE.
(CHANA, JAEL und SARA sitzen betreten am Tisch. MENACHEM lehnt am Herd.)
CHANA: Weg?
MENACHEM: Ja.
CHANA: Jetzt?
SARA: Selbstverständlich.
JAEL: Das ist nicht gerecht.
MENACHEM: Wärest du lieber tot?
(Stille. JAEL schluckt.)
MENACHEM: Ein menschenleeres Haus ist noch immer besser als ein leichenbefüllter Graben.
(CHANA beginnt zu weinen. SARA berührt sanft ihre Schulter. JAEL sitzt, erstarrt.)
MENACHEM: Wir räumen das Haus. (als wolle er sich selbst überzeugen) Zu Sonnenuntergang wird es so sein, als hätten wir nie hier gewohnt.
SCHTETLTOR, DÄMMERUNG.
(BÜRGER stehen versammelt, beladen ihre Karren, verabschieden sich voneinander. Ein Kleinkind weint. JAEL lehnt sich an TZVI. CHANA, SARA und MENACHEM beladen einen Karren.)
CHANA: Bis bald, Schwester.
JAEL (mit brechender Stimme): Bis bald.
(CHANA und SARA besteigen den Karren.)
SARA: Gib‘ Acht.
(JAEL beginnt zu schluchzen, zuerst leise, dann immer lauter, wie ein verletztes Tier.)
JAEL: Warum? Was ist mit unseren Leben? Was haben wir getan?
MENACHEM (leise): Der Herr hat es für uns so vorgesehen.
JAEL: Weggenommen hat er mir alles. Was bleibt mir? Mein zukünftiger Mann, ein paar Lumpen und Töpfe. Sonst nichts. Nichts bleibt mir.
(MENACHEM nimmt JAEL in den Arm.)
MENACHEM: Die Zukunft bleibt dir. Die Zukunft und die Hoffnung. Das ist alles, was bleibt.
(JAEL weint in den Armen ihres Vaters, die ersten Karren ziehen davon. Über den Bäumen geht die Sonne unter.)