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5. Platz: Der Frühling erwacht

Marlene Schweighofer

Wir reisen viele Jahre zurück in ein einsam gelegenes und tief verschneites Dorf am Rande des Nordpols. Die umliegenden Gewässer sind unter einer dicken Eisschicht verborgen und die dichten, dunklen Wälder halten nur schwer der nie schwindenden Schneeschicht stand. Alles ist ruhig, nichts trübt die Idylle, die Natur lebt stumm im Einklang mit den Menschen. Früh, noch bevor die ersten Sonnenstrahlen erscheinen, erwachte die Dorfälteste Hedda in ihrer Hütte. Sie ist zwar die Älteste im Dorf, doch ihre Mitmenschen mieden ihre Nähe, sie hielten sie für verrückt und sagten ihr Zauberei nach. Dadurch war Hedda gezwungen, alleine zu überleben. Bis jetzt hatte sie das Alleinsein nie gestört, Hedda war gerne für sich, denn an dem was die Dorfbewohner über sie sagten, war nicht alles falsch. In dieser Nacht fiel es ihr jedoch besonders schwer aufzustehen, aber liegen zu bleiben war keine Option, denn sie brauchte neuen Fisch um über die Runden zu kommen. Fisch war ein wichtiger Bestandteil ihres Essensvorrats, der nun fast ganz aufgebraucht war. Außerdem wollte sie schon seit langem einen neuen Zauberspruch ausprobieren, wozu ihr bis jetzt die Hauptkomponente fehlte. Dies verschaffte Hedda neue Motivation, denn sie hoffte heute auf diese zu stoßen. Also zog sie sich warm an und kramte alle Gegenstände zusammen, die sie zum Eisfischen benötigte. Sie war schon fast am See angekommen, als sie eine Wölbung in der Ferne ausmachte. Schnell, aber auf jeden Schritt bedacht, ging sie weiter. Es war, wie erhofft ein liegender Eisbär. Nun musste die Älteste vorsichtig vorgehen, wenn der Bär noch lebte, dann war sie in äußerster Gefahr, eine Konfrontation mit diesem würde sie nicht überleben. Also setzte sich Hedda in den Schnee und beobachtete, ob sich sein Bauch hob und senkte. Nach ein paar Augenblicken hatte sie dies ausgeschlossen und näherte sich langsam dem wilden Tier. Auf so eine Chance hatte sie gewartet. Vor einigen Wochen erfand die Dorfälteste einen neuen Zauberspruch, der ihr die Zukunft zeigen soll und für diesen war ein großes Raubtier essenziell. Also kniete sie sich vor das Tier und begann zu sprechen. Augenblicklich wurde Hedda schwarz vor Augen und eine Vision begann sich abzuspielen. Sie kniete am gleichen Ort wie in der Gegenwart, das erkannte sie an dem See, der vor ihr lag. Aber wo gerade noch Schnee unter ihren Füßen war, sprießte nun grünes Graß empor, welches teilweise durch hässliche Schlammfurchen gespalten war. Hedda wunderte sich darüber, woher diese nur stammen konnten. Als sie weiter weg einen Eisbären sah, wurde ihr Herz ganz schwer, das Tier war ausgehungert bis auf die Knochen und wühlte in irgendeinem bunten, leichten Gegenstand, augenscheinlich auf der Suche nach Essen. Sie zwang sich wegzuschauen und richtete ihren Blick auf den See, er war nicht mehr von Eis bedeckt und auch sonst war jegliche Kälte oder Schnee aus der Landschaft gewichen. Nun ging sie so schnell es ging zu ihrem Dorf, doch auch dort empfing sie keine Erleichterung. Da wo früher Häuser standen, waren nur mehr Ruinen übrig, weil der Wasserstand des naheliegenden Meeres so hoch gestiegen war, dass das Bewohnen der Hütten unmöglich war. Das Letzte, das Hedda erblickte, bevor sie wieder in der Gegenwart erwachte, war ein kleines Gewächs mit gelbem Ende, welches sie noch nie zuvor gesehen hatte. Dieses Detail war das einzig Schöne, das sie in der Zukunft gesehen hatte. Schwer erschüttert strich Hedda dem Eisbären über das Fell und wusste tief im Inneren, dass sie nichts tun konnte, was die Lage verbessern könnte. Denn die Zukunft bleibt. Von jeglicher Energie und Motivation verlassen, legte sie sich neben den toten Eisbären und schloss die Augen. Kurze Zeit später waren Heddas Hände so kalt wie Schnee und gemeinsam lagen sie in der weißen Welt. Etliche Jahre später bahnte sich genau an der Stelle, an der Hedda und der Eisbär gelegen hatten, eine gelbe Blume den Weg ins Freie. 


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