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1.Platz: Mit welcher Frage zu beginnen sei

Manuel Hirschegger

Warum schweigen die Toten, frage ich.

Was lässt sie verstummen, stopft ihnen das Maul.

Lässt sie alles Leben mit leeren Blicken löchern.

Verleiht ihnen das Recht im Kugelhagel unserer vielen Fragen den Unwissenden zu spielen.

Ja, sie sind tot, aber wo lauert das Gewissen.

Ist ihnen Ehre und Pflicht nichts mehr wert.

*tick*

Warum treibt im Strom meines Empfindens zunehmend dieses Gefühl der Ohnmacht umher.

Schickt einen Puls durch alle Nervenstränge.

Es schmerzt in meinen Gliedern.

Lässt mein Blut gefrieren.

Gänsehaut.

*tack*

Ich sage: Die Toten schweigen nicht.

Sie brüllen.

Sie kreischen.

Sie heulen.

Reißen sich die Haare aus vor Wut.

Im metaphorischen Sinne, versteht sich.

*tick*

Acht Jahrzehnte lang haben wir unsere Ohren nicht geputzt.

Drinnen trieft die Furcht, klebt die Vergesslichkeit und verstopft der Leichtsinn.

Die Ignoranz.

Für jedes Jahr ein Schnitt ins eigene Fleisch.

Wir prügeln den Schmerz in die Hülle eines schrillen Schreies.

Wir spielen quietschende Geigen in diesem Kreischorchester.

*tack*

Bald ist es Winter, bald bauen die Kinder Schneemänner und den Toten friert die Zunge am Gaumen fest.

Auf ihren Gräbern steht der Supermarkt, in dem wir uns die billigen Lichterketten besorgen.

Manchmal fällt uns gar die Rechnung oder eine Kupfermünze zu Boden und wir kauern mit dem Kopf ganz nah an der Erde, ganz nah dort wo sie uns Wortgewitter entgegendonnern.

*tick*

Seid still für einen Augenblick nur, sage ich.

Hört ihr nicht.

Das mahnende Säuseln.

Das Seufzen.

Und spürt ihr nicht.

Wie euch das Salz eurer Tränen die Haut vom Knochen ätzt.

*tack*

Die Tinte der Nacht schwappt irgendwann aus ihrem Glas und hüllt auch unsere Sonne in ein ewiges Dunkel.

Und dann erst werden wir es sein, die begreifen.

Aber ihr wisst:

Was niemand je bemerkt muss niemand je vergessen.

Was heute ist, wird morgen sein.

Also wozu das alles?

Das sollte einer fragen.


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