An einem dieser Tage, an den die Zeit in einem unmerklichen Takt weitergeht, fand ich mich auf einem Flohmarkt wieder, der in der Nachmittagssonne glühte. Unter einem alten, schiefen Pavillon, umgeben von Kuriositäten und Erinnerungsstücken, stand ein Strauß Lilien, strahlend und in ihrer ganzen Pracht. Ihre Blüten schienen den Staub der Zeit abgeschüttelt zu haben, als ob sie sich weigerten, den Lauf der Jahre zu akzeptieren.
Ich näherte mich den Lilien und konnte den Hauch einer Erinnerung riechen – es war derselbe süße, fast erdrückende Duft, der mich früher an Sommertage bei meiner Großmutter erinnerte. „Blumen sind wie Menschen“, hatte sie einmal gesagt, als ich noch zu klein war, um zu verstehen, was sie damit meinte. „Sie blühen auf, geben alles, was sie haben, und dann… ja, dann gibt es irgendwann nichts mehr.“
Doch diese Lilien? Sie wirkten anders. Es war, als wären sie nicht gebunden an den Kreislauf des Blühens und Verwelkens. Sie standen da, inmitten von zerbrochenen Schallplatten und verstaubten Büchern, als wären sie die letzte Konstante in einer Welt, die sich ständig verändert.
Ich griff nach dem Strauß. Die Blütenblätter waren weich, fast zu weich.Und in dem Moment, als ich sie berührte, spürte ich ein seltsames Kribbeln in meinen Fingern. Plötzlich sah ich nicht mehr den Flohmarkt vor mir, sondern etwas anderes, etwas, das mich wie ein Traum ergriff, eine Vision von Menschen, die durch Straßen eilten, von Autos, die lautlos über seltsame, glänzende Straßen fuhren. Es war die Zukunft. Eine Zukunft, die sich still und sicher vorwärtsbewegte, ganz unabhängig von mir oder meinem Leben. Die Menschen in dieser Welt schienen nichts von meiner Existenz zu wissen. Sie lebten in einem eigenen Rhythmus, und ich war nur ein stummer Beobachter. Ich sah, wie Kinder in Schulbussen saßen, wie ältere Menschen in Parks spazieren gingen, deren Bäume immer grün blieben – wie die Lilien, die nie verblühen. Und doch schien niemand hier innezuhalten, um das alles zu bemerken.
„Was siehst du?“ Die Stimme kam von der Seite. Ich schreckte auf und sah die alte Frau, die den Lilienstrauß verkauft hatte. Sie stand neben mir, ihre faltigen Hände in einem leichten Zittern auf dem Tisch. „Die Zukunft ist nicht das, was du denkst“, sagte sie mit einem wissenden Lächeln. „Sie ist nicht irgendwo da draußen. Sie ist immer hier, in den Entscheidungen, die du heute triffst.“
Ich schaute sie an, verwirrt. „Aber was hat das mit den Lilien zu tun?“ fragte ich, und meine Stimme klang in meinen eigenen Ohren wie die eines Kindes, das nach Antworten sucht, die sie vielleicht nicht mal verstehen wird.
„Die Lilien…Sie stehen für das, was bleibt, auch wenn alles andere vergeht. Sie erinnern uns daran, dass nicht jede Blüte verwelken muss. Manche Dinge, manche Momente, sie bleiben – wenn du sie lässt.“
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Die Menschen auf dem Flohmarkt zogen an mir vorbei, als ob sie nicht wirklich hier wären. Vielleicht hatte die alte Frau recht. Vielleicht gab es in dieser Welt Dinge, die bleiben konnten, wenn wir ihnen die Chance dazu gaben.
Langsam ging ich weiter durch die Reihen der Stände. Der Strauß, jetzt mehr als nur eine Handvoll Blumen – eine Art Versprechen. Ein Versprechen, dass nicht alles zerbricht, dass nicht alles vergeht. Manche Dinge blühen immer weiter, solange wir sie in uns tragen.
Mir fiel auf, dass die Menschen um mich herum anders wirkten. Sie lachten, redeten, tauschten Geschichten aus, als ob auch sie spürten, dass hier, an diesem Ort, etwas mehr war als nur alte Gegenstände. Sie schufen Erinnerungen, sie pflanzten Samen für etwas, das vielleicht morgen, vielleicht erst in vielen Jahren, aufblühen würde.
Ich hielt die Lilien fest in meiner Hand. Es spielte keine Rolle, ob sie jemals verblühen würden. Was zählte, war der Moment. Denn in diesem Moment, hier und jetzt, wusste ich, dass manche Dinge bleiben – egal, was kommt.