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Brise

Sofia Breitfuß

Es war, als würden die Zikaden um mich herum mir ein Lied des Lebens singen. Okay, das war vielleicht etwas zu romantisch ausgedrückt, aber ich hatte mich in den wenigen Tagen, die ich jetzt hier war, unsterblich in das alte Farmhaus auf einem kleinen Hügel inmitten der tiefsten Toskana verliebt. Es fühlte sich irgendwie unwirklich an.

Vor einer Woche war ich noch in dem Zimmer einer modernen Stadtwohnung in der Göteborger Innenstadt gesessen, nervös wie ich war, und hatte mich gefragt, was ich wohl für das nächste Jahr packen sollte. Es hatte mich all meine Überzeugungskraft gekostet, meine Eltern dafür zu begeistern, mich für ein ganzes Jahr ins Ausland zu schicken.

Auch wenn ich dafür meine Freunde, Familie und mein ganzes bisheriges Leben zurücklassen musste, war es das einzig richtige gewesen. Hier war ich, bis auf meine Gasteltern, auf mich alleingestellt und musste mit einer fremden Sprache in einem fremden Land zurechtkommen.

Ich brauchte Abwechslung und neue Herausforderungen mindestens genauso viel, wie ich Angst vor ihnen hatte, denn wenn ich mich erst einmal in einen Alltagstrott eingefunden hatte, war ich wie ein rostiges Getriebe, das dringend etwas Öl vertrug.

Ich schloss die Augen und lauschte der Brise, die durch die Blätter der hohen Bäume fuhr und sie mit ihrem Gesang erfüllte. Alles stand in vollster Blüte und der Sommer zeigte sich von seiner schönsten Seite. Es fühlte sich beinahe so an, als wäre das alles hier für mich. Ich lächelte in mich hinein.

Das Einzige, was ich bis jetzt hier vermisste, war ein Ort, an dem ich Hockey spielen konnte, eine große Wiese, eine ausgedehnte Ebene oder ein Sportplatz. Mir war alles lieb, solange ich nur einen Ball mit einem Schläger schlagen konnte. Oder schrubben.

Gastschwester hatte ich leider keine, aber ich war mir sicher, dass ich schnell Anschluss finden würde. Spätestens wenn ich das erste Mal feiern ging, würde ich schon auf jemanden stoßen, der genauso wie ich zu Phoebe Bridgers abgehen konnte. Es konnte mir wirklich niemand erzählen, dass Motion Sickness ein trauriger Song war. Nicht bei dem Beat.

Ich hoffte nur, dass dieser Sommer genauso magisch werden würde, wie ich ihn mir ausgemalt hatte, sodass ich dann entspannt ins neue Schuljahr starten konnte. Um ehrlich zu sein hatte ich nicht vor, mich sonderlich anzustrengen. Wenn ich mich ab und zu mal blicken ließ, würde ich es schon irgendwie schaffen, das Jahr positiv abzuschließen. Meinen Abschluss hatte ich eh schon in der Tasche, also warum sollte ich mich um etwas anderes kümmern, als darum einfach nur die Zeit meines Lebens zu haben?

Ich grinste bei diesem Gedanken und nahm alles um mich herum plötzlich viel intensiver wahr. Ich war mir sogar sicher, in der Ferne eine Vespa zu hören.

Die Devise für diesen Sommer war auf jeden Fall klar: Feiern, auf Konzerte gehen und wer weiß, vielleicht würde ich sogar meinen ersten Kuss endlich von meiner Bucketlist streichen können?


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