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Meine Zukunft ist mehr als nur dieser Raum

Florian Sternad

Wieder einmal sitze ich hier in diesem Zimmer. Dieses weiße, sterile Zimmer, das so still ist, dass man meinen Herzschlag in jeder Ecke wie die großen Trommeln einer aufmarschierenden Parade hören kann. Außer mir befinden sich hier nur mein Bett, eine Uhr und ein Schreibtisch, auf dem sich ein Stapel Papier und eine Hand voll Stifte zurechtfinden. Ich blicke auf die Uhr, die so groß ist, dass sie eine der vier Wände bedeckt und nur halb so schnell wie andere Uhren zu laufen scheint, und sehe, dass es gleich 14 Uhr sein wird.

Ich nähere mich langsam dem einzigen Fenster des Raumes, öffne es und schaue hinaus. Draußen sind die anderen Kinder meines Alters, die sich tobend auf der Wiese vergnügen. Ich lächle und winke ihnen zu, doch wieder einmal scheinen sie mich nicht wahrzunehmen. Mein falsches Lächeln senkt sich wieder, denn eigentlich verabscheue ich diese Kinder. Wie sie so ein unbeschwertes Leben führen können, ist für mich unbegreiflich, doch eigentlich will ich genauso sein. Ich hätte mir nichts mehr gewünscht, als dass jemand mich an der Hand gepackt und mir den Weg auf die grünen Wiesen gezeigt hätte. Seit jenem Tag habe ich das Fenster nicht mehr geöffnet.

Viele Jahre sind vergangen und mit mir hat sich auch der Raum verändert. Langsam haben die weißen Wände einen bläulichen Ton angenommen. Aber wieso blau? Ich hasse Blau. Jedes Zimmer in diesem Haus ist blau. Aus meinen verblassenden Erinnerungen kommt plötzlich der längst vergessene Traum eines grünen Zimmers hervor. Nichtssagend setze ich mich in die Mitte des Raumes und beobachte mit tränenden Augen die Wände, deren Farbe immer dunkler zu werden scheint.

Doch kann ich nichts tun? Ich bin es satt, in diesem Gefängnis eingesperrt zu sein. Nichts und niemand hat das Recht, die Farbe meines Raumes zu wählen, denn immerhin ist es mein Raum. Kurzerhand ergreife ich den grünen Filzstift, der geöffnet auf meinem Schreibtisch liegt, und beginne die Wand damit zu bemalen. Nach kurzer Zeit gibt der mickrige Filzstift den Geist auf. Ich werfe ihn auf den Boden, öffne die Tür des Raumes und verlasse ihn, um mehr grüne Filzstifte zu kaufen, denn meine Zukunft ist mehr als nur dieser Raum.


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